Gottesdienst am Sonntag Sexagesimae, 31.01.2016,

im Dom zu Ratzeburg

– Lukas 8, 4-8


Liebe Gemeinde,

fünf Verse aus dem Evangelium nach Lukas kommen und verlangen Aufmerksamkeit. Wie ein Bild, an dem man schon vorübergegangen ist und das einen zurückholt: Was war das? Fünf Verse, nicht mehr. Ein Gleichnis aus dem Mund Jesu. Er erzählt es Menschen, die aus der Stadt kommen. Auf dem Land, irgendwo in Galiläa, legt er es ihnen vor.

Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er zu ihnen in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. – Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Bevor ich mit Ihnen zusammen genau auf die Wörter und die Sätze achte, muss ich etwas der Sache nach erklären. Der Sämann geht ans Säen, bevor er gepflügt hat. Er streut die Getreidesaat mit großen Würfen der Hand auf ein Feld. Leute laufen über dieses Feld; sie werden es auch dann noch tun, wenn die Saat später schon aufläuft. Sie nehmen eine Abkürzung; Abkürzungen haben etwas Unwiderstehliches. Hier und da ragen Felsen aus der Erde; vielleicht ist das ganze Feld nur eine dünne Krume auf felsigem Untergrund. Und Dornensträucher wachsen wild. Der Sämann nimmt es hin. Er weiß womöglich, dass sie immer wiederkommen. – Wenn er gesät hat, wird er hinter einem Ochsen hergehen, der vor einen einfachen hölzernen Pflug gespannt ist. Eigentlich ist es ein kräftiges Holz mit einem Haltegriff, das der Bauer in die Erde drückt, während der Ochse es Schritt um Schritt hinter sich herzieht. In die dabei entstehenden Ritzen oder Furchen fällt das zuvor ausgesäte Korn.

Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Dreifach wird die Vergeblichkeit dieser Arbeit geschildert. Einiges fiel auf den Weg …, einiges auf den Fels …, einiges mitten unter die Dornen. Endlich heißt es immerhin auch: Einiges fiel auf gutes Land. Drei Viertel des Saatgutes, so möchte man rasch überschlagend bilanzieren, sind verloren. Nur ein kleiner Anteil fällt in die Erde und wird von ihr bedeckt, so dass die Saat nicht nur aufgehen, sondern auch Wurzeln bilden kann und sich im Erdreich hält. Drei Sätze berichten vom Misserfolg, nur einer vom Gelingen. Lass es, sagt etwas in uns – und sagt es nicht nur zum Sämann, sagt es auch zu mir selbst –, geh nach Haus, überlass das Säen und das Pflügen den Glücklichen, die über bessere Voraussetzungen verfügen, oder halte nach einem anderen Acker Ausschau.

Beim zweiten, genaueren Hinsehen – wir sind ja noch einmal einen Schritt zurückgegangen zu dem Bild, das wir schon hinter uns gelassen hatten –, beim zweiten Hinsehen zeigt sich, dass sich das Gleichnis auch anders verstehen lässt. Gegen Ende ist die Rede von hundertfacher Frucht. Um dieses Ertrages willen wird sich die Mühe am Ende doch gelohnt haben. Darauf also läuft das Gleichnis zu: auf den Erfolg und nicht auf den Misserfolg. Aber darauf muss man erst einmal kommen. Zunächst bleibt man hängen in den widrigen Umständen: den zertretenen Wegen, dem Gestein, den Dornen. Das Widrige kommt ja auch sehr massiv daher. Und es nimmt im Gleichnis den größeren Raum ein. Um genau zu sein: In der deutschen Übersetzung nach Martin Luther bestehen die drei Schilderungen der Vergeblichkeit jeweils aus 2 ½ Zeilen, während die eine positive Bilanz weniger als zwei Zeilen einnimmt. Und einiges fiel auf gutes Land, und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Das bedeutet immerhin: Was der Bauer am Ende erntet, ist die hundertfache Menge dessen, was er gesät hat. Da fallen die Verluste kaum ins Gewicht. Aber wenn man als jemand, der das Gleichnis hört oder liest, schon entmutigt ist von so massiver Vergeblichkeit, dringt man kaum noch durch zu dem überraschend glücklichen Ausgang.

Gerade darum, so scheint mir, ist diese Szene so gebaut. Sie führt vor, wie es uns geht. Darum wohl sagt der Erzähler: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Also: Lasst euch nicht entmutigen durch die Fülle schlechter Nachrichten, haltet euch offen für den guten Ausgang. Oder: Gebt die Sache noch nicht auf, selbst, wenn es jetzt schlecht für sie aussieht. In einer an das Gleichnis angehängten Deutung – sie gehört wohl ursprünglich nicht dazu – sagt Jesus zu den Seinen: Die auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld. Das ist ein ruhiger, aber auch starker Schluss. Er spricht einfach von Menschen, die standhalten und dranbleiben. Sie machen nichts Großes. Sie karren keine Erde auf das felsige Gelände, sie legen keine Wege an, die um das Feld herumführen, sie rotten die Dornen nicht aus. Sie hören und behalten, sie hegen das Gehörte in einem feinen, guten Herzen, sie bringen Frucht in Geduld. Das heißt doch wohl: Sie warten auf die Stunde, in der die Saat aufgeht – auch in ihnen – und die Ernte reif ist – auch durch die Kraft ihrer Hoffnung und Zuversicht. Das Gleichnis erklärt die Geduldigen und Unbeirrbaren zu solchen, die schließlich Grund zur Genugtuung haben. Vielleicht spielt das Gleichnis auf einen Psalm an, der von Säen und Ernten spricht: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben (Ps 126,5-6).

In der Alten Nationalgalerie zu Berlin sind seit dem 22. Januar zwei Gemälde von Caspar David Friedrich wieder zu sehen, die zuvor mehr als zwei Jahre lang in der Werkstatt der Restauratoren waren. Es sind die Bilder Der Mönch am Meer und Abtei im Eichenwald. Sie gelten als „das berühmteste Bilderpaar der deutschen Romantik“ (Text der Alten Nationalgalerie). Was war bisher auf ihnen zu sehen? Ein einzelner Mann, gekleidet in ein langes dunkles Gewand, vor einer in der Tiefe des Bildes unbegrenzten Kulisse aus Wasser und Himmel, die Unwetter signalisierte. Und: die Reste des Gemäuers einer Klosterkirche zwischen winterkahlen Eichen, darüber ein grauer Himmel. Aber die aufwendige Restaurierung lässt beide Bilder nun in einer neuen Gestalt erscheinen. Man sieht etwas, was vorher nicht zu sehen war: einen sehr schmalen Sichelmond etwa, der von einem kreisrunden Hof umgeben ist. Einige Knospen an den im Frost erstarrten Zweigen der Eichen. Einen Altar, auf dem zwei brennende Kerzen stehen. Und auf dem anderen, dem Bild vom Mönch am Meer: weiße Schaum-kronen auf dem Wasser, Möwen, die um den Kopf des Mannes kreisen, und der Himmel, der zuvor düster und unheilverkündend aussah, leuchtet hellblau in farblicher Klarheit. Die Anmutung, die vor der Restaurierung von den beiden Gemälden ausging, gibt die Kunsthistorikerin Kia Vahland in der Süddeutschen Zeitung (Nr. 17, 22. Januar 2016, S. 9) so wieder: „Schaut er nicht trist aufs Meer, der einsame Mönch? Und liegt sie nicht düster im Nebel, die Abtei?“ – und sie fügt als Fazit hinzu, was in Dantes Göttlicher Komödie über dem Tor zur Unterwelt geschrieben steht: „Lasst alle Hoffnung fahren.“ Nach der Reinigung des Bildes – sieben Schichten Firnis, eines schützenden Öls mit verdunkelnder Wirkung, sind jetzt abgetragen worden –, „nach der Reinigung schaut der Mönch in lichten Himmel.“ „Hell ist der Himmel, unendlich schön das Meer, und um den Kopf des Mönches flattern unter dem Dreck neu entdeckte Möwen als Mittlerinnen zwischen oben und unten, Jenseits und Diesseits.“ Wer nun genau hinschaut auf die beiden erneuerten, erfrischten Bilder, „wird mit vielen kleinen Lichtblicken belohnt.“

Was die Lichtblicke auf den Bildern sind, ist der Ton der Zuversicht im Gleichnis vom Sämann. Dem Firnis auf der Leinwand aber entspricht die dunkle Deutung, die sich schon früh über das Gleichnis gebreitet hat. Womöglich war es der Evangelist Markus selbst, der ihm eine Interpretation hinzugefügt hat. Sie macht den positiven Schluss – die erfreuliche Ernte – fast unsichtbar. Eine fast defätistische Lust an der Schilderung des Hinderlichen charakterisiert diese Deutung. Sie spricht vom Teufel, der das Wort aus ihren Herzen nimmt, von den einen, die zwardas Wort mit Freuden annehmen, aber zur Zeit der Anfechtung abfallen, weil sie keine Wurzel haben, und von den anderen, die unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens ersticken wie das Korn unter den Dornen. Vielleicht – so denke ich gerade – ließe sich diese Aufzählung auch auf ganz andere Verhältnisse anwenden als auf die ursprünglich gemeinten. Etwa auf die Kurzlebigkeit von Überzeugungen, die heute mit Nachdruck vertreten und morgen verworfen werden. Oder darauf, dass manche von denen, die das Fremde und die Fremden willkommen geheißen haben, nun die eigenen egoistischen Interessen als Grenze zwischen sich und ihnen setzen. Unter solchen Umständen ist es nicht leicht, den hellen Schluss des Gleichnisses im Sinn zu behalten: Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Und mehr als die Zuversicht, dass dies auch in unserer Zeit wahr werden kann, haben wir ja nicht.

Ruth Klüger hat am Schluss ihrer Rede im Deutschen Bundestag am vergangenen Mittwoch von der „Großherzigkeit“ gesprochen, „mit der Sie [Ruth Klüger meinte die Repräsentanten der Politik] die Flut von syrischen und anderen Flüchtlingen aufgenommen haben und noch aufnehmen. Ich bin eine von den vielen Außenstehenden, die von Verwunderung zu Bewunderung  übergegangen sind. Das war der Hauptgrund, warum ich mit großer Freude Ihre Einladung angenommen und die Gelegenheit wahrgenommen habe, in diesem Rahmen, in Ihrer Hauptstadt,  über die fr üheren Untaten sprechen zu d ürfen, hier, wo ein gegensätzliches Vorbild entstanden ist und entsteht, mit dem bescheiden anmutenden und dabei heroischen Wahlwort: Wir schaffen das.“

Bescheiden anmutend und dabei heroisch : So empfinde ich auch dieses kleine Gleichnis aus dem Lukasevangelium mit seinem hellen Schluss, das ich Ihnen zur achtsamen Bewahrung ans Herz, nein: in das Herz legen möchte.

Amen


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Vorspiel: 2. Satz (Adagio) aus der Gambensonate g-Moll BWV 1029 von J. S. Bach
(Johanna Peiler, Vc., und Christian Skobowsky, Orgel)

– Eröffnung

– EG 166 Tut mir auf die schöne Pforte

– EG 748 Psalm 119 i.A.

– Ehr sei dem Vater und dem Sohn …

– Kyrie eleison …

– Tagesgebet:

Gott, du Quelle des Lebens und des Segens,
führe mich zurück in die Oase deines Wortes.
Hol mich heraus aus der Wüste von Schicksal und Fluch.
Wachsam lass mich sein und geduldig und treu.
Lehre mich die Sprache, in der ich dich verstehe.
In die Oase deines Wortes führe mich zurück,
dass ich bei dir sei und dich preise
alle Tage und in Ewigkeit.

Amen

– 3. Satz (Allegro) aus der Gambensonate g-Moll

– Lesung aus der Hebräischen Bibel: Jesaja 55, 8-12a

– EG 280 Es wolle Gott uns gnädig sein

– Evangelium: Markus 4, 1-9

Die Predigt, die wir nachher hören werden, ist eine Auslegung des Gleichnisses vom Sämann aus dem Lukasevangelium. Ich lese jetzt eine andere Fassung desselben Gleichnisses. Sie findet sich im Evangelium nach Markus im 4. Kapitel.

1 Und Jesus fing abermals an, am See zu lehren. Und es versammelte sich eine sehr große Menge bei ihm, sodass er in ein Boot steigen musste, das im Wasser lag; er setzte sich, und alles Volk stand auf dem Lande am See. 2 Und er lehrte sie vieles in Gleichnissen; und in seiner Predigt sprach er zu ihnen:

3 Hört zu! Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen. 4 Und es begab sich, indem er säte, dass einiges auf den Weg fiel; da kamen die Vögel und fraßen’s auf. 5 Einiges fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und ging alsbald auf, weil es keine tiefe Erde hatte. 6 Als nun die Sonne aufging, verwelkte es, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es. 7 Und einiges fiel unter die Dornen, und die Dornen wuchsen empor und erstickten’s, und es brachte keine Frucht. 8 Und einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges sechzigfach und einiges hundertfach. 9 Und er sprach: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

– EG 272 Ich lobe meinen Gott (2mal)

– Predigt

– Camille Saint-Säens, Prière

– Abkündigungen

– EG 98 Korn, das in die Erde

Dank und Fürbitten:

Gott, dessen Wort nicht leer zu dir zurückkehrt:
Alle unsere Sorgen befehlen wir in deine Hand,
damit wir sie loslassen können.

Wir sehnen uns nach deinem Frieden,
für uns selbst und für alle Menschen.

Wir bitten dich: Sei mit deinem Geist der Hoffnung dort,
wo Menschen aufgeben wollen
und nicht mehr auf Veränderung hoffen.

Nimm der Mutlosigkeit ihre lähmende Macht
und mache die Bedrängten stark, neue Wege zu suchen.
Wir bitten dich: Sei mit deinem Geist des Friedens dort,
wo Menschen sich hassen und verachten
und aufgereizt werden zu Terror und Mord.

Zerbrich den Kreislauf sadistischer Gewalt
und lass die Menschen einen Weg – ihren Weg – finden,
der zur Versöhnung führt
und zur Achtung der Würde jedes Menschen.

Wir bitten dich für uns selbst:
Mach uns hellsichtig für das Licht, das unter dunklen Schichten verborgen ist,
empfänglich für die Zeichen beginnenden Lebens in winterlicher Erstarrung.

Mach dein Wort unter uns wirksam wie den Regen und den Schnee,
die die Erde feuchten und sie fruchtbar machen,
dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen.

Lass die Saat von Geduld und Zuversicht aufgehen unter uns,
und was wir bitten in unseren Herzen, möge dein Herz erreichen.

Lass unser ganzes Leben in deinen Händen aufgehoben sein.
Fülle uns mit deiner Gnade,
damit wir dich loben und fröhlich sind unser Leben lang.

Vater unser im Himmel …

Gehet hin im Frieden des Herrn

Segen

– Musik zum Ausgang: JS Bach, Fuge h-Moll BWV 544/2 für Orgel

 

Amen


 



 


    Pastor i. R. Klaus Eulenberger

Predigt am 31. Januar 2016 im Dom zu Ratzeburg.