Bericht über ein Konzert
im Ratzeburger Dom
am 14. Mai 1903
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Im Kreisarchiv in Ratzeburg befinden sich - jahrgangsweise fest eingebunden - viele historische Jahrgänge der regionalgeschichtlich wichtigen Zeitung: "Lauenburgischer Anzeiger" (Ratzeburger Zeitung). Ein ausführlicher Bericht über ein Konzert zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts beantwortet die spannende Frage, was damals musikalisch "en vogue" war. |
Lauenburgische Zeitung, 14.5.1903, Titelseite
):( Dom-Konzert. Am vergangenen
Sonntag fand im hiesigen Dom ein Konzert statt, dessen
Veranstalter der hiesige Musikverein war. Dasselbe war zwar
recht gut besucht, doch hätte man wohl noch einen besseren
Besuch erwarten dürfen. - Das Programm in seiner interessanten
Zusammenstellung wies Kirchenkompositionen von Palestrina bis
auf die Jetztzeit auf. Die Ausführung derselben war eine
außerordentlich gelungene, höchsten Anforderungen entsprechende.
Man kann nur seiner lebhaften Freude darüber Ausdruck geben, daß
dergleichen hier geboten wird. - Eröffnet wurde das Konzert von
Herrn Domorganisten Ehlers mit der D-Moll-Canzona
vom Großmeister Bach, [1] die er in
plastischer Darstellung mit angemessener Registrierung zu Gehör
brachte. Hierin wie in seinen übrigen Solovorträgen und
namentlich auch in der Begleitung der anderen Sologaben bewies
sich Herr Ehlers wieder als der auf hoher Stufe technischer
Fertigkeit stehende Orgelspieler und feinsinnige Musiker, als
den wir ihn schon lange kennen. An anderen Solovorträgen boten Frl. Lüders aus Hannover Rezitativ und Arie: "Tröstet Zion" aus dem Messias, das Lied: "Schönster Herr Jesu" von E. Hildach [2] und das Raff’sche "Ach, was ist Leben doch so schwer", [3] und Herr O. Frederich als Cellist eine Sarabande von J. S. Bach und Max Bruchs "Kol Nidrei", letztere eine namentlich in rhythmischer wie harmonischer Hinsicht interessante Komposition. Frl. Lüders verfügt über eine ganz angenehme Sopranstimme mit guter Schulung. Sie wurde den von ihr vorgetragenen Kompositionen im ganzen gerecht; doch wirkte hier und da ihre Neigung zu dunkler Tongebung und Vokalisation etwas störend resp. das Verständnis des Textes beeinträchtigend. Herr O. Frederich bewies ein achtunggebietendes Können, zeigte auch recht gutes Verständnis. Von seiner Weiterentwickelung läßt sich das Beste erhoffen. Das Schönste vom ganzen Konzerte bildeten die Vorträge des Chors, der Vereinigung für kirchlichen Chorgesang aus Lübeck, unter Leitung seines Dirigenten, des Herrn Organisten Lichtwark. Dieser Chor ist ja ein längst bekannter und immer wieder gern gesehener Gast in unserer Stadt. Er hat am Sonntage seinem Rufe ein neues Ruhmesblatt eingefügt. Seine Vorträge zeigten eine Höhe des Könnens, daß man nur Worte höchster Anerkennung dafür haben kann. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll, den genialen Dirigenten, der es verstand, seinen Chor zu solcher Höhe zu bringen, oder den Chor, der seinem Führer mit solcher unbedingten Hingabe folgte. Heiligste Begeisterung für die Kunst, innigste Freude an ihrer Ausübung leuchtet aus jedem Tone. Tonbildung, Aussprache, Ausgeglichenheit der einzelnen Stimmen, aufs feinste abgeteilte dynamische Schattierungen, Klarheit und Sicherheit auch bei größten Schwierigkeiten - und diese boten sich bei den einzelnen Chören in reichlichem Maße - das alles waren Dinge, an denen man seine helle Freude haben konnte. Daß bei solchem Können und bei dem vorhandenen prachtvollen Stimmmaterial der Chor dank der Führung seines Leiters dem Inhalte der von ihm vorgetragenen Kompositionen, mochten sie auch den verschiedensten Zeiten angehören und mannigfaltigsten Stimmungsgehalt haben, restlos gerecht wurde, ist ja eigentlich nur noch selbstverstandlich. Es mag noch darauf hingewiesen werden, daß die Vorzüge des Chors sich namentlich zeigten in dem wunderbar schönen Bachschen Chor und Choral: "Jesu meine Freude" mit seiner großartigen Stimmführung und Kontrapunktik, und dem Ritterschen Doppelchor: "Wohl bin ich nur ein Ton" [4] mit seiner interessanten, ganz modernen Harmonik. Dem Veranstalter aber sei an dieser Stelle wärmster Dank für solche Veranstaltung ausgesprochen. Möchten wir bald und häufig ähnliche Darbietungen erleben! _______________ 1) Johann Sebastian Bach: Canzona in d-moll, BWV 588 2) Eugen Hildach (1849 Wittenberge - 1924 Berlin). Gemeinsam mit seiner Frau Anna Schubert unterrichtete er ab 1880 am Musik-Konservatorium in Breslau, gab Liederabende und machte Konzertreisen, er als Bariton und sie als Mezzosopran. 1888 zogen sie nach Berlin.
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