Ferdinand von Notz: Aus: "Der Ratzeburger Dom",
Ratzeburg i. Lbg.: H. H. C. Freystatzky's Buchdruckerei,
ohne Jahr (1932).





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Kapitel II: Der Dom.

Bedeutung und Bau.

Wir durchschreiten den Ring alter Bäume und stehen staunend angesichts des Domes. Umweht von den Schauern der Ewigkeit, umstrahlt vom reinen Lichte des Himmels, liegt das hehre Gotteshaus da, gewaltig, hoheitsvoll, ehrfurchtgebietend.
 



 

KUNSTGESCHICHTLICH betrachtet ist er das unübertroffene und unübertreffliche Glanzstüclc früher nordischer Ziegelsteinbaukunst, deren edelste und schönste Schöpfung. Fast unverfälscht ist er auf uns gekommen. Die Schönheit seiner Kunstformen, bei all ihrer Schlichtheit, packen den Beschauer nicht weniger als die Harmonie des Ganzen, außen wie innen. Das Kirchenschiff ist, von wenigen Zutaten aus späterer Zeit abgesehen, rein romanisch; die Wissenschaft bezeichnet den Bau als dreischiffige, kreuzförmige, steingewölbte Pfeilerbasilika. In dem spitzbogigen Gewölbe tritt der Übergangsstil hervor. Drei der Portale, der Turm und eine noch erhaltene Seitenkapelle, entstammen der frühgotischen Zeit. lm Innern haben die späteren Stilarten bis zum Barock ihre Kunst betätigt. Das Ganze - ein unvergleichlich herrliches Meisterstück vaterländischer Kunst.

KIRCHENGESCHICHTLICH bedeutete der Dom einst den Mittelpunkt der geistlichen Gewalten in den weiten

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Landen rundum; Sitz des Bischofs und eines klösterlichen Domherrnstiftes. Er war Hort und Herd der göttlichen Heilslehre; die feste Burg des Christengottes im Heidenlande. Er ist das Symbol des Triumphes des Christentumes über das Heidentum.

ZEIT- UND KULTURGESCHICHTLICH ist er, der geboren ist in jener gewaltigen Epoche, da sich das junge Deutschtum im Osten gründete unter Strömen von Blut, Künder und Siegeszeichen einer höheren Weltauffassung über eine verworfene, aber auch ein Denkmal heldischen Geistes und deutscher Kraft und Siegesherrlichkeit beim ersten Abschluß des Riesenkampfes des Germanen- und Slaventumes. Der Markstein einer Weltenwende.

Immerdar soll der Anblick des Domes, kühn und trutzig, unser Herz erheben zu Kraft und Hoffnung. Den fernsten Geschlechtern sei er noch ein Mahnzeichen und ein Gebot zu echtem deutschen Treugelöbnis!
 

Baubeginn und Meister.

Eine alte Urkunde, das Ratzeburger Zehntenregister von 1230, beginnt mit der Erzählung der Domgründung. lm weiteren Verlaufe berichtet sie von einem Gelübde Heinrichs des Löwen, das er ablegte, als er auf seinem ersten Heereszuge nach Überschreitung der Elbe die erste Nacht im Feldlager zubrachte: das umliegende Land, Pötrowe, heute Pötrau, weihte er zum Zeichen der Besitzergreifung des Slavenlandes durch die Deutschen Gott und der heiligen Jungfrau und schenkte es der bald zu bauenden Kirche. Es gehörte zum ersten Besitze des Domes.

An dessen Hauptpforte befindet sich eine alte schöne Steintafel. Unter dem Pardel-Wappen Heinrichs steht, daß er, dux bavariae et saxoniae, diese Ratzeburger Kathedralkirche an den dritten lden des August (d. i. der 11. 8.) 1154 gegründet und geweiht habe. 5) Bald nach der Gründung muß der Kirchenbau in Angriff genommen worden

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5)
An der Jahreszahl ist lange herumgedeutelt worden. Neuerdings hat sie Prof. Rich. Haupt einfach und überzeugend erklärt. Die Steintafel selbst entstammt spätgotischer Zeit. sie trägt in Wappenform und Schriftzügen die Merkmale der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

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sein. Helmold, der Zeitgenosse, der nicht ferne wohnte und seine Chronik im Jahre 1170 etwa beendete, berichtet (Kap. 91 S. 190): "Zu Zeiten Heinrichs (von Bodwide) ward im Lande der Polaben ein Gotteshaus gegründet, zu Zeiten Bernhards aber, seines Sohnes, wurde es sehr großartig ausgeführt." Es kann sich nur um unseren Dom handeln; ein unumstößliches Zeugnis.

Und wer war der Künstler, der Baumeister, der dies vollbrachte? Sein Name ist nicht auf die Nachwelt gekommen. Es muß genügen, daß Bischof Evermod, wenn er nicht selbst den Bau leitete, unter seinen Mönchen Werkmeister und Helfer fand. Denn in jener mittelalterlichen Zeit wurden Wissenschaft und Kunst - sie war ja fast ausschließlich Kirchenkunst - in den Klöstern geübt. Nach Evermods Tode 1178 wird sein Nachfolger, lsfried, tätigen Anteil genommen haben. Er war Propst zu Jericho[w] in der Mark gewesen. Hier war bereits 1149-52 von Prämonstratensermönchen eine Klosterkirche erbaut worden. Sie ist anerkannt als das Muster romanischer Ziegelbaukunst der norddeutschen Tiefebene. Manches aus ihr scheint beim Bau in Ratzeburg zum Vorbilde gedient zu haben.

Vorbild und Plan.

Ein wichtiger Merkstein in der Entwicklungsgeschichte des romanischen Stils in Sachsen ist die Benediktiner-Klosterkirche St. Peter und Paul zu Königslutter, unfern Braunschweig (Dehio V S. 296). 1135 wurde sie von Kaiser Lothar gegründet; er wurde bereits 1137 in der Kirche beigesetzt, wenig später auch des Kaisers Gemahlin und sein Schwiegersohn, Heinrich der Stolze, der Vater Heinrichs des Löwen. Mit dieser Kirche haben die drei bald darauf von Heinrich dem Löwen gebauten Kirchen, in Ratzeburg seit 1154, in Lübeck seit etwa 1160 und in Braunschweig seit 1173 eine vielbemerkte Ähnlichkeit. Das beweist auch das Kirchenabbild, welches Heinrich auf seinem Grabstein im Braunschweiger St. Blasiusdome im Arme hält.

Die verschiedenartige Fortentwicklung dieser Bauten im Laufe späterer Jahrhunderte hat die Übereinstimmungen nicht zu verwischen vermocht. Vor allem im Ratzeburger Dome ist der Einfluß der hochentwickelten sächsischen Bau-

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Grundriß des Domes vor dem Umbau um 1880
(aus Haupt, 6. Bd.)

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kunst allenthalben bemerkbar. So gilt als feststehend, daß der Plan aus dem Braunschweigischen kam. Und die Werkmeister, in sächsischer Kunst geschult, fühlten sich auch in Ratzeburg trotz des gänzlich anderen Baustoffes an die herkömmliche Art gebunden. Viele Einzelheiten finden dort ihr Gegenstück (so z. B. die Gewölbe in Melverode. Nach Haupt).

Ein Unterschied im Plane bestand allerdings von Anfang an: der Ratzeburger Dom ist um ein quadratisches Joch kürzer als die anderen. Das beruht aber wohl nicht darauf, daß etwa bei ihm von Anbeginn an mit geringerem Zustrom gerechnet wurde, sondern darauf, daß der Platz für ihn auf dem Hügelrücken, auf dem er zu stehen kam, beschränkt war. Nach feststehendem Grundsatze wurde die Kirche so gerichtet, daß der Chor mit den Heiligtümern ostwärts wies. Kreuzförmig schließen sich an das Mittelquadrat der "Vierung" nach Ost das Chorquadrat mit der Concha (= Muschel, das ist die halbrunde Absis), nach Nord und Süd die Querschiffquadrate und nach West die drei Langschiffquadrate an. Letzteren sind nach Nord und Süd je drei halbe Seitenschiffquadrate längs und nach West drei ganze Turmschiffquadrate quer angeschlossen. Da, des Hügelabfalles wegen, westwärts des Turmschiffes kein Raum und Zuweg für eine Eingangshalle - das "Paradies" - und eine Hauptpforte war, wurden solche südwärts, dem Palmberge zu, vorgebaut.

Der umfangreiche Bau mußte abschnittsweise erwachsen. Die ältesten Teile sind das Vierungsquadrat, Chor und Querschiff. Nach glaubhafter Überlieferung des Peträus (S. 48) müssen diese Teile bereits zu Evermods Lebzeiten unter Dach gewesen sein. Er soll 1172 des Heiligen Ansver Gebeine, die durch ein Wunder von einem Blinden im nahen St. Georgsberger Kirchlein aufgefunden worden waren, feierlich und mit großem Gepränge in den Dom überführt haben. Auch ist Evermod selbst im südlichen Querschiffe beigesetzt gewesen, wie aus der ursprünglichen Lage seines Grabsteines geschlossen werden kann.

Dann werden das Turmschiff und das mittlere Langschiff in Angriff genommen worden sein. Der jüngste, aber auch schmuckvollste Teil des Baues, ist die Eingangskapelle. Unbestätigte Sage schrieb sie dem Bischof

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Evermod zu. Vielleicht verweisen Ähnlichkeiten mit der Jerichower Kirche, so vor allem der schöne Vierpaßpfeiler in der Mitte der Kapelle, auf den zweiten Bischof Isfrid, der, wie wir wissen, aus Jerichow kam. 1220 etwa, also noch in romanischer Zeit, war die Kirche in ihren Hauptteilen vollendet. Ihre ursprüngliche Gestalt hat sie bis zum Ende des 14. Jahrhunderts« bewahrt. 6)

Der TURM ist jünger als der eigentliche Dom. Die Schwesterkirchen alle weisen zwei Türme auf. Auch für unseren Dom waren zwei geplant. Ihre Schäfte, mit romanischen Fenstern aus der ersten Bauzeit, sind noch vorhanden und reichen bis zur Höhe des Kirchendaches. Aus irgendwelchem Grunde wurde der Plan geändert; in frühgotischer Zeit wurde auf den lnnenmauern der beiden Stümpfe der breite massige und doch wirkungsvolle Einzelturm aufgeführt, der heute noch nach mancherlei Schicksal dem Ganzen zur würdigen Krönung dient. 7) Früher öffnete sich der Turm in einem schönen, großen gotischen Fenster. Erst in jüngster Zeit, 1895, ist es der Orgel wegen beseitigt worden. Gotisch sind auch heute noch von den sechs Kirchenpforten drei, von denen allerdings zwei zugemauert sind. Seit 1370 entstanden nacheinander längs der Seitenschiffe zwei Reihen niederer gotischer Seitenkapellen. Von ihnen steht heute nur noch die sogenannte Lauenburger Chorkapelle. Von ihr wird noch die Rede sein (S. 64 und 72). Noch 1416 vermacht Probst Nicolaus Rambow 100 Mark zum Bau einer neuen Kapelle letztwillig.

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6) Zu den ältesten Teilen des Domes gehört unstreitig der kleine Bau zwischen der nördlichen Chorseiten-Kapelle und dem Kapitelgebäude. Der untere Raum, der mit der Kirche in Verbindung steht, ist heute Sakristei. Der obere wird ehedem die
"Trese", d. i. "Gerwet- oder Schatzkammer" gewesen sein. In ihr wurden die Kleinodien und die wertvollen Urkunden des Domes und des Stiftes aufbewahrt. Über eine merkwürdige akustische Verbindung dieses Raumes mit dem Dome, von dem er durch dicke Mauern getrennt ist, wurde im Aprilhefte 1930 der "Lauenburgischen Heimat" unter "Domgeschichten: Das Ohr des Dionys" berichtet.
7) Nach einer Urkunde von 1284 schenkte Bischof Conrad die Hälfte von Zodenitze zum Bau des Domes. Da dessen Hauptteile sowie der Klosterbau bereits fertig waren, mag es sich bei der Schenkung um die Bestreitung der Kosten des Turmbaues gehandelt haben. Eine Urkunde von 1347 spricht ausdrücklich von "restauratio turris."

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Die Fantasie einer späteren Zeit hat sich mit dem ersten Dombau beschäftigt. Bothos niederdeutsche "Chroniken der Sassen", unsere älteste gedruckte Bilderchronik, von 1492, hat ein Bildchen davon, an dem wenigstens das Wappen des "Bischopp van Rosseborge" richtig ist.

Baustoffe.

Dem Dombaumeister auf der entlegenen lnsel in dem eben erst eroberten, noch nicht befriedeten Feindlande mußten weit größere Schwierigkeiten erwachsen, als wie es in den altsächsischen Landen der Fall gewesen. Dort standen Kunst und Bauwissenschaft seit Jahrhunderten in hoher Blüte; dort stand auch bester Haustein zur Verfügung als alterprobter Baustoff. Nichts von alledem im Wendenlande. Hier war bisher der Steinbau unbekannt. Jeder Bauhandwerker, alle Hilfsmittel mußten erst von weither herangeführt werden. Und der eigentliche Baustoff, der Stein, mußte erst künstlich geschaffen werden. Findlingsgranit fand sich zwar genug auf den Feldern. Doch der war damals noch zu schwierig zu bearbeiten; nur zu rohem Grundsteinbau ward er geschichtet. Ganz jung erst war die Erfindung der Ziegelbaukunst der anzuwendenden Art. Noch lebten Vicelin, der Bischof von Oldenburg, und Volchart, sein Baumeister, welchen das Verdienst zugeschrieben wird. (Nach Haupt, "Ziegelbau".) Um so bewundernswerter ist die Makellosigkeit des Baustoffes wie die Tadellosigkeit des Bauens.

Auf dem St. Georgsberge liegt heute "Neuvorwerk". Die alten Urkunden nennen es "siccum allodium" = "das Drogen-Vorwerk". Hier ward der dröge (trockene) Lehm zum Ziegelstein gebrannt. 8) Auf der anderen Seite des Sees liegt heute noch "Kalkhütte". Der Muschelkalk von dort mag dem ersten Dombau gedient haben, bis, in späteren Jahrhunderten, gebesserte Land- und Wasserstraßen die Heranführung von Segeberger Kalk gestatteten.

Der zuerst angewandte Ziegel in grau-gelblicher Tönung ist von einer später nie mehr erreichten Güte, Festigkeit und Schönheit. später wird der Stein rötlicher und immer weicher. An der Güte und Färbung der Steine
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8) Auch der Lübecker Dom bezog seine Ziegel aus einem "Drogen-Vorwerk", das sich bei Lübeck befand.

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läßt läßt sich mit ziemlicher Sicherheit das Alter des Bauteiles ablesen. Baumeister Rickmann (1881) erzählt, das älteste Mauerwerk sei von solcher Festigkeit, daß Änderungen am Baukörper eine sehr mühsame und zeitraubende Arbeit bedeuteten. Der Kalkmörtel band so fest, daß sich die Fugen nicht lösen ließen und eher die Steine in Trümmer gingen.

Bei den erstangewandten Steinen, besonders den Formsteinen, fällt eine eigenartige Scharrierung oder Riefelung ins Auge. Man hat geglaubt in ihr eine nachträgliche Behauung des gebrannten Ziegels zu erkennen. Man suchte das sogar damit zu begründen, daß ja die Werkleute aus dem Hausteinlande gekommen seien und die Steinbearbeitung mit Hammer und Meißel für sie unerläßlich gewesen sei. Die Riefelung ist aber sichtbarlich bereits am nassen Batzen, vor dem Brennen erfolgt, wobei die gewünschte Form durch Stechen mittels gezahnten Messers erreicht wurde.

Andere Eigenarten unseres Domes gegenüber den gleichaltrigen Baudenkmälern des deutschen Ostens sind das Fehlen von Steinsäulen und von Stuck. Letzterer ist erst spät und in bescheidenem Maße angewandt worden. Knappheit der Geldmittel und Abneigung sollen bestimmend gewesen sein. Doch will es eher so scheinen, als habe sich der Baumeister stolz bestrebt, sein Werk einheitlich aus dem ihm allein an Ort und Stelle zur Verfügung stehenden Stoffe zu schaffen. Das zeigt sich in der außerordentlich mannigfachen Formung der Steine an Pfeiler-Ecken und Kanten, an Tor- und Fensterleibungen.
 


 

Nicht im Artikel, hinzugefügte Abbildung!
Foto: Privatarchiv hom.

Nur zwei Paar verkuppelte Ziegelsteinsäulen weist der Bau auf in den reizvollen romanischen Doppelfenstern, die von den Querschiffarmen sich nach den Dachräumen der Seitenschiffe öffneten, heute aber vermauert sind. 9) Für die Güte der Arbeit zeugt auch der sehr ordentliche Mauerverband, der kein Füllwerk kennt.

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9) Diese sonst wohl kaum angewandten lnnenfenster haben ihr Vorbild in der Ruine der Klosterkirche zu Hersfeld, die 1043 erbaut wurde. Welchen Zweck mögen diese Fenster gehabt haben? Vielleicht sollten sie die Beiwohnung der Messe denen ermöglichen, welche die Kirche nicht betreten durften, sei es daß sie sich im Kirchenbanne befanden, sei es, daß ihnen wegen Krankheit, Aussatz, der Eintritt verwehrt war.

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Außenschmuck.

Der Außenschmuck des Domes beschränkt sich auf die Ausgestaltung der Tore und Fenster durch Rundsäulchen. Die Leibungen der Tore sind abgetreppt. Die Wandflächen werden belebt von Lisenen - das sind halbrunde Wand- und Pfeilervorlagen -, sowie durch Friese, die den oberen Kanten folgen. An der Chor-Absis, sind sie einfach rundbogig, an anderen weniger beachteten Stellen rautenförmig, in der Hauptsache aber kreuzbogig. 10) Reich sind die Giebel ausgestattet, besonders der der Eingangskapelle. Vom Gurtgesims steigen hier neun Lisenen auf. Eine Kreisrosen-Blende und über dieser ein kleines offenes Kreuz füllen das Giebeldreieck, das wiederum von schräg aufsteigendem Kreuzbogenfries eingefaßt ist. Die ganze Wandfläche ist von aufwärtslaufenden Zickzackstreifen verblendet.

Außen scheint der Dom stets Rohbau gewesen zu sein. Nur die kleinen Felder zwischen den Friesen und zwei schüsselförmige Rundungen, in welche die Lisenen des südlichen Querschiffes auslaufen, sind weiß verputzt.


Das Innere.

Sinn und geistiger Inhalt einer Religion suchen sich zu verkörpern in religiösen Bauten, in Tempeln und Kirchen. Von der Erhabenheit des Gottesgedankens zeugt schon äußerlich der gen Himmel ragende Bau. Die lnnigkeit des Glaubens deutet das lnnere an, voll Feierlichkeit und Sehnsucht, voll ernstem Streben, aber auch fröhlicher Hoffnung; streng und doch liebe- und verheißungsvoll. Strahlendes Licht durchflutet warm und hell den ernsten Raum. Goldig, verklärend ruht es auf dem Symbol der sich für die Sünden der Menschheit opfernden Liebe Gottes, auf dem Kreuze des Erlösers ln unserem Dome herrscht kein Dämmerlicht, wie sonst so oft in alten Kirchen. Ein Meer von Licht flutet durch die zahlreichen Fenster.

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10) In der nördlichen Ecke zwischen Chor und Querschiff sind vier verschiedene Friesarten unauffällig nebeneinander gestellt. An dieser entlegenen Stelle scheint der Baumeister erprobt zu haben, welches Muster seinem Werke am besten anstehen würde. Nebenbei ist dies wohl auch ein Beweis dafür, daß diese Bauteile zu den ältesten gehören.

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Das Bauliche zeigt im Innern bei aller Harmonie des Ganzen ein stetes Wechseln der Formen; kaum eine Einzelheit, die der anderen gleicht. Eine erstaunliche Beweglichkeit lebhaften Erfindergeistes, der immer neue Spielarten ersann. Eine wunderliche Lust der Abwechselung. (Nach Haupt, "Ziegelbau".)

Der lnnenraum hat noch die Einteilung der katholischen Kirche: Der westliche, untere Teil gehört der Laienwelt, der andere, erhöhte, von ihm durch die hohe Chorschranke getrennt, der Geistlichkeit. Letzterer war wiederum zweigeteilt. In dem niederen Chor hatten die Domherren ihr Gestühl. Der östliche Teil mit der Koncha, der hohe Chor, enthielt den Hochaltar. Der hohe Chor war dem Bischof und seinen Statthaltern beim Hochamt vorbehalten; ihn zieren die "Levitenstühle" heute noch.

Es fällt auf, daß der Chor so außergewöhnlich hoch über dem Laienschiffe liegt. Sieben Stufen führen zu ersterem empor. Das war nicht immer so. Erst um 1520 ist dies entstanden, als die heute noch vorhandenen Fürstengrüfte unter dem Chore angelegt wurden. (S. 43.)

Die Gewölbe.

Im lnnern zeigen die Seitenschiffe rein-romanische Rundbogenwölbung Auch der Gurtbogen der Absis ist rund. Im Gegensatz dazu sind Haupt- und Querschiffe überdeckt von einem langen, schwach-spitzbogigen Kreuzgewölbe in Form einer Tonne, in welches Stichkappen einschneiden. Darunter sind starke Steingurte gezogen, die gleichfalls spitzbogig sind. Hierdurch ist die Meinung entstanden, die Hauptgewölbe seien erst in spätmittelalterlicher Zeit gebaut. "Es wird erzählt", sagt G. C. F. Lisch (in "Mecklenburg in Bildern" VIII. Heft, 1842), "Bischof Johannes von Parkentin, der von 1479-1511 regierte, habe den mittleren Gang der Kirche, der früher mit den Nebengängen gleiche Höhe gehabt habe, so hoch hinauf gebaut, wie er jetzt ist, und die nach den Spitzbogen geformten Gurtbogen der Gewölbe scheinen die Sage zu bestätigen. 11)
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11) Die seit 1457 vorhandenen Strukturs-Register des Domes geben keinerlei Auskunft über solch späte Erhöhung des Mittelschiffes.

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Baumeister Rickmann (S. 49-51) glaubte dem beipflichten zu müssen. Es ist nicht glaublich, ein gotischer Baumeister des 15./16. Jahrhunderts habe einen bedeutenden Bauteil - den Obergaden - romanisch, wie dieser heute noch steht, dazu noch mit den alten Steinen des 12./13. Jahrhunderts, ausgeführt. Das beweisen alle nicht mehr romanischen Teile späterer Zeit am Dom. Es ist wohl denkbar, daß in der ersten Bauzeit eine Balkendecke vorübergehend bestanden hat, ehe das Gewölbe durchgeführt war. Das findet sich heute noch in alten, romanischen Kirchen. Gleichen Gewölbebau wie der Ratzeburger zeigt auch der ihm so nah verwandte Braunschweiger Dom, von dem wir genau wissen, daß er 1195 vollendet war. Dabei ist zu bedenken, daß sich in jener ersten Bauzeit die Formensprache und Technik der Baukunst bereits abzuwandeln begann in jenen Stil, der als "Übergangsstil" bezeichnet wird und zur Frühgotik hinüberleitet. Vertrat schon Architekt Lauenburg die Ansicht von der ursprünglichen Echtheit der Gewölbe, so hat letzthin Prof. Haupt eingehend bewiesen, daß Zweifel unberechtigt sind. Dehio (II, S. 396 ff.) sagt hierüber: "Das scharfkantige Kreuzgewölbe, von derben Gurten getrennt, auf Schalung gemauert, in den Abseiten rundbogig, im Hochschiffe spitzbogig, so daß seine Vollendung gegen 1220 anzusetzen ist." Es ist dabei eigentümlich, daß die groben breiten Gurtbögen, die das Gewölbe zu tragen scheinen, dazu keineswegs dienen. Beide sind unabhängig von einander und nur oberflächlich mit einander verstrichen. Das Gewölbe setzt da aus, wo sich Gurten befinden.

In dies Fragengebiet schlägt noch eine andere, viel beachtete Seltsamkeit des Domes: Einer der hohen Arkadenbögen - es ist der an das Turmschiff anstoßende der südlichen Reihe zeigt im Gegensatz zu allen anderen, rein rundbogigen, den Spitzbogen. Er mußte hier wohl oder übel zur Anwendung kommen. Die einzelnen Teile des Grundbaues waren ja nicht in zeitlichem Zusammenhange entstanden. Dabei hat sich der Baumeister offensichtlich im Grundrisse um ein weniges verrechnet. Der Pfeiler-Zwischenraum war hier zu schmal geworden. (Gleiches ist auch anderen Orts beobachtet; in Ringstedt auf Seeland und in zwei Bogen sogar zu Marienberg bei Helmstedt; siehe Haupt VI, 62.)

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Das Gewölbe hat nicht nur dem Drucke vieler Jahrhunderte und den dänischen Bomben 1693 widerstanden, sondern es hat auch einer gefährlichen Feuerprobe getrotzt. Als Turm und Kirchendachstuhl infolge Blitzschlages 1893 völlig aus- und abbrannten, widerstand das Gewölbe. Das Kirchen-Innere mit seinen Kunstwerken ist dadurch unversehrt bewahrt geblieben.

Die Bedachung, heute aus Schiefer und Ziegel, bestand früher, von alters her, aus Blei und teilweise aus Kupfer. Mehrfach stoßen wir in den alten Strukturregistern des Domes auf den "Blidecker uth Lübeck", der mit "Rollblei" das Dach zu erneuern hat, und auch auf den "Kannengeter oder Beckenschlager" von Ratzeburg, welche Löcher im Dache zuzulöten haben. Im Jahre 1537 geschieht bei solchen Dacharbeiten eines Tönnies KLOPSTOCK Erwähnung, eines ehrsamen Handwerkers, wie es scheint, des ersten bisher bekannt gewordenen Vorfahren des Sängers des Messias. -

Zusammenfassend urteilt Haupt: "Überblickt man das Ganze, muß man staunen über die Untadeligkeit der Technik. Wo ist sonst ein so großer Bau, der so fest auf seinen Füßen stünde, ohne viel Risse und Spalten zu zeigen, sich 1/2 Jahrtausend und mehr im Wesen erhalten hätte? Und dieser ist nicht aus Naturstein, sondern der schlechten erdigen Masse abgewonnen, aus der erst Steine haben gemacht werden müssen."
 

Name und Weihe.

Heinrich der Löwe hatte das Gelübde getan, den Dom der Mutter Gottes zu stiften. Geweiht wurde er der Jungfrau Maria und dem Apostel Johannes. Beider Bilder aus ältester Zeit stehen heute noch unter dem großen Triumphkreuze. Das älteste erhaltene Kirchensiegel - von 1210 - zeigt das einfache Marienbildchen mit der Umschrift: "Sigill. Sancte Marie Virginis in Raceburg." Ursprünglich scheint auch der Dom den Namen nach der Gottesmutter geführt zu haben. Eine Urkunde von 1261 nennt ihn "ecclesia sanctae Mariae in Raceburg". Später erst wurde die ganze Kreuzigungsgruppe in das Wappen aufgenommen. Jedenfalls genoß die Jungfrau höchste Verehrung. Feierliche Handlungen, so bei Abtretung des Landes Boitin durch die jugendlichen Herzöge von Sachsen,

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finden vor dem Bilde der heiligen Jungfrau am Hochaltar statt. Der Marienkult stand dauernd in Blüte. 1350 stiftet Bischof Volrad ein großes silbernes Marienbild. Im 15. Jahrhundert erhielt der Dom mehrere große holzgeschnitzte Bildwerke der Jungfrau, die sich erhalten haben. Noch 1501 wird in die Eidesformel der Bischöfe aufgenommen, "den Mariendienst aufrecht zu erhalten", und 1509 stiftete Bischof Johann von Parkentin Horen zu Ehren der Jungfrau in der Kapelle des heiligen Martinus; auch wird dem Altar der Maria im Eingang des Domes ein Benefizium gestiftet. Der Name Mariendom oder Liebfrauenkirche hat sich allerdings nicht durchgesetzt.

 

Maßangaben.
     
Länge des Hauptschiffes ohne die Mauern   60,57 m
Ganze Länge der Kirche mit den Mauern   64,44 "
Länge des Hauptschiffes bis zum Querschiffe   37,17 "
Breite des Hauptschiffes   8,28 "
Breite des Querschiffes   8,28 "
Länge des Querschiffes mit den Mauern   31,37 "
Breite der Seitenschiffe   4,28 "
Ganze Breite der Kirche mit der Kapelle, einschließlich der Mauern   29,43 "
Breite der Kirche ohne die Kapelle   22,57 "
Größte Höhe des Hauptschiffes   17,29 "
Größte Höhe der Seitenschiffe   8,28 "
Ganze Höhe der Kirche vom Fußboden
bis zum Dachfirst
  26,00 "
Höhe des Hauptschiffes bis zum Hauptgesimse   15,16 "
Höhe des Kruzifixes über dem Chor   5,71 "
Turmhöhe etwa   48,00 "


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Hier die Vorlage der Transkription der Seiten 8-21, auch zum Download: