Der Ratzeburger Dom
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Ratzeburger Dom
Südseite vor
der Wiederherstellung
Aufn. Staatl. Bildstelle
Das Wahrzeichen des Landes, dem diese Sondernummer gilt, ist der
Ratzeburger Dom. Ein Wort zu seiner Würdigung nimmt seinen
dreifachen Ausgang von der Zeitgeschichte, der
Kirchengeschichte, der Kunstgeschichte.
Die Zeitgeschichte
bei der Gründung des Bistums Ratzeburg zeigt unser Volk auf einem
Höhepunkt seiner Lebenskraft. Damals dehnte sich der deutsche
Lebensraum nach Süden und Osten aus und der slavische Lebensraum
wurde zusammengedrückt. Drei große Ströme deutschen Volkstums
brachen hervor: Im Norden die Niedersachsen längs der Ostseeküste;
in der Mitte, von Brandenburg und Meißen aus vorstoßend, Franken und
Thüringer; im Süden die Bayern und Schwaben in die Donauländer sich
ergießend.
Von diesem Ausweiten des deutschen Lebensraumes
sind auch die Kämpfe zwischen Deutschen und Wenden, die dreihundert
Jahre hin und her wogten in unserer engeren Heimat ein
Teilausschnitt.
Heinrich der Löwe brach die Tore im Osten
auf: zum Entscheidungskampf flutete mit unwiderstehlicher Kraft das
Heer der Ritter und Reisigen, deutsche Bauern und Kaufleute,
unerschrockene christliche Missionare über das Neuland dahin. Es war
eine Zeit voller Wagemut, voll Trotz und heldischen Geistes, voll
aufjauchzender, überquellender, urgesunder niedersächsischer
Lebenskraft, aus der heraus der Geist dieses Baudenkmales geboren
wurde.
Welch’ einen Eindruck mußte der Wende von diesen
steinernen, wuchtigen, feierlichen Bauten empfangen, die nun von den
in unaufhaltsamer Kraft vordringenden Deutschen in sein Waldland
hineingerodet wurden, wenn er seine vergänglichen Holzhauten damit
verglich: diese himmelstürmenden Dome und wehrhaften Kirchenbauten,
mit ihrem Glockenhall weithin über Seen und Wälder, mit den
feierlichen farbenprächtigen Processionen und Handlungen! Die
Kirchenbauten sind der sichtbare Ausdruck der schlechthin
überwältigenden andringenden deutschen Kultur, die Zusammenfassung
der innersten Kräfte, die aus ewigem Urgrunde kommen und voll
Himmelssehnsucht aufwachsen. ·
Der Dom ist "das Haus". Mit
seinen in allen Kriegsstürmen nicht umzuwerfenden überstarken Mauern
und den andächtig darüber gefalteten Gewölben umschließt er wie ein
heiliges Gsehäuse die Gemeinde, die durch Jesus Christus in
Lebensverbindung mit dem ewigen, unnennbaren Gott gebracht ist und
damit in Verbundenheit mit der einzig dauerhaften überzeitlichen
Wirklichkeit inmitten einer zur Vergänglichkeit bestimmten, sich
abwärts entwickelnden, zeitlich gebundenen Welt. Dieser Ewigkeits-
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Ratzeburg Dom=Inneres
Aufn. Staatl.
Bildstelle
zug und die Himmelssehnsucht sind die gestaltenden Kräfte im
Kirchenbau.
Als die christliche Kirche sich vor die Aufgabe
gestellt sah, am Anfang ihrer Entwicklung dem lesensunkundigen Volk
einen Begriff vom Evangelium Jesu Christi zu vermitteln, mußten alle
Künste dazu mithelfen; die bildenden Künste, Musik, Drama und
kultische Handlung, alles wirkte auf das eine Ziel hin, die
Herrscherin aber ist die Architektur, die Baukunst, die alles
zusammenfaßt.
Die altchristliche Kirche stellte dem
Baumeister diese Aufgabe: Schaffe mir Räume als Abbild des
Heilsweges: Den offenen Vorhof, durch Säulenhallen von der Welt
getrennt, aber doch noch von dem Lärm der draußenliegenden Welt
nicht ganz abgesondert. Es ist der Bußhof für die im Gewissen schwer
belasteten, der Ort der noch nicht Getauften, der Armen und Bettler.
In der Mitte des Hofes fließt der Reinigungsbrunnen. Alle, die das
Schiff, die Arche der Geretteten, die Kirche (Karke) betreten
wollen, müssen erst durch diesen Vorhof des Leidens und der Taufe
hindurch, vorbei an den zeitweilig ausgeschlossenen Büßern; den
Werdenden; den Armen, die zur Nächstenliebe Veranlassung geben.
Ist der Vorhof ein Bild des irdischen Leides, so das Innere des
Kirchenraumes ein Bild des Paradieses. Er bringt dem, der im Vorhof
des Leides den Schritt zur Wiedergeburt nicht gescheut hat, nun den
iiberwältigenden Eindruck der Gewißheit der Erlösung und läßt ihn in
eine völlig andersgeartete überirdische Welt blicken, völlig
abgeschlossen von dem Alltag, allem Erbärmlichen und Gemeinen
draußen; voller Harmonie, Kraft, Ruhe, Schönheit, stiller
Heiterkeit. Aber auch hier im Innern noch ein Wachsen, ein Zwang zum
Vorwärtsschreiten, die Räume werden heiliger, je mehr man sich dem
fernen Zielpunkt, der Altarnische nähert; alle Linien in dem
langgestreckten Raum laufen perspektivisch in diesem einen Punkt
zusammen, dem Opfertisch des Altars, auf dem in der Messe das Opfer
am Kreuz von Golgatha für die Gemeinde in der feierlichen Zeremonie
des Abendmahls wiederholt wird.
Die altchristliche Basilika
hat auf der vorstehend kurz angedeuteten Grundlage den Weg für den
gesamten Kirchenbau des Mittelalters gewiesen. Auch der Ratzeburger
Dom ist ein Entwicklungsglied dieser Kette in einer allerdings
anderen, nordischen Umwelt und Sprache, in einem anderen
kirchengeschichtlichen Zeitabschnitt.
Die
kirchengeschichtlische Entwicklung von der altchristlichen
Urgemeinde aus und ihrer, die antike Kultur von innen heraus völlig
revolutionierenden neuen Lebensgemeinschaft mit dem auferstandenen
und erhöhten Christus war immer mehr der abwärts gleitenden
erdbedingten Linie gefolgt. Im Laufe der ersten sechs christlichen
Jahrhunderte war sowohl die Einzelgemeinde wie das Episkopat der
anfangs nebeneinander gleichgeordneten Bischöfe immer mehr
veräußerlicht und verwildert.
Erst die von dem Kloster Cluny
im germanischen Herzogtum Burgund aussgehende Reinigungsreform,
welche durch Freiheit von jeder weltlich-politischen Verquickung den
Dienst der Kirche Christi und ihren Ewigkeitsruf an die Menschheit
mit ganzer Entschiedenheit verwirklichen wollte, gab dem
christlichen Ideal des Mittelalters lebendige Gestalt. Mit tiefem
sittlichen Ernst, mit germanischer Lehnsmannentreue an den Herzog
und Heliand Jesus Christus und seinem überweltlichen
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Reich floß
ein starker Strom verinnerlichten geistigen Lebens und Sehnens durch
aller Herzen.
Ihren Ausdruck fand sie wie in großen Taten so
auch in den gewaltigen Domen des Mittelalters voll Ernst und Kraft,
voll Feierlichkeit und Sehnsucht. Dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit! Die deutschen Dome sind das
sichtbare Amen auf diesen Lobpreis Gottes: Ja! es soll also
geschehen. Aus dieser Geistesbewegung heraus, welche mit der Großtat
der kolonialen Expansion in ursächlichem und gleichzeitigem
Zusammenhang steht, ist auch der Ratzeburger Dom geboren.
Es
war der Bischof Evermodus, den Heinrich der Löwe als ersten
geistlichen Würdenträger und Bauherrn nach Ratzeburg berief, ein
direkter Schüler Norberts, Stifters des Prämonstratenser Ordens,
einer der zahlreichen Orden, die nun nach den Mönchsregeln der
Cluniacenser gegründet wurden. Er leitete den Dombau des großen
Sachsenherzogs, den dieser am 11. August 1154 gegründet hatte, ganz
von diesem Geiste des germanischen Protestantismus ergriffen. Der
ganze Ernst und die Strenge jenes verinnerlichten Strebens, das
Ewigkeitserleben, der Bußernst und die stille Fröhlichkeit des
Geborgenseins sind auch in unserm Dom verewigt, die Steine reden.
Neben dem Staatsmann und dem geistlichen Würdenträger, die für
die Baugeschichte des Ratzeburger Doms entscheidend waren, möchten
wir nun auch zu einer kunstgeschichtlichen Würdigung den
eigentlichen Baumeister gerne kennen lernen: Sein Name ist
unbekannt! Dieser Subjektivismus ist dem Mittelalter anfangs völlig
unbekannt: es schafft kollektivistisch. Die Gemeinschaft des Volkes,
die Ordensregel schafft und regelt. Der Einzelne tritt zurück. Der
Baumeister der darnaligen spätromanischen Zeit fand für den
Kirchenbau ein in Grundriß und Aufbau festgelegtes Schema vor: die
dreischiffige Pfeilerbasilika, im gebundenen System gewölbt, mit
Langhaus, Querschiff und Chor. Natürlich ist dieses Schema
landschaftlich verschieden durchgeführt und bei der unaufhaltsamen
technischen Durchbildung in dauerndem lebendigen Fluß. Aber nach
fester schulmäßiger Regel hat im ganzen Abendland, bis nach Afrika
übergreifend,
Ratzeburg, Dom Nördl. Querschiff
mit Nebenchor Aufn. Staatl. Bildstelle
[Die Abbildung zeigt den heute durch eine
große Grabplatte
zugestellten/verdeckten zeitweiligen
Zugang zur Sakristei des Doms.]
jeder Baumeister sich dieser straffen Zucht der Kirche einzufügen.
Wenn auch so im Großen wohltätig gebunden an die Erfahrung der
Vergangenheit und zeitgenössischen Gegenwart, so fand doch auch die
Persönlichkeit noch Freiheit genug zu schöpferischem Handeln. Gerade
zu dieser Zeit mußten im Kolonialland der norddeutschen Tiefebene
aus dem neuen heimischen Material des Backsteins neue
Ausdrucksformen im Kleinen wie im Großen geschaffen werden.
Natürlich waren den Baumeistern, bei den internationalen Beziehungen
des Abendlandes, die oberitalienischen Backsteinmotive, seit der
Römerzeit fortlaufend, bekannt; und niederländische Ziegeltechnik.
Aber das Wesentliche unserer norddeutschen Backsteinkunst ist an den
Bauaufgaben unseres Landes gewachsen. Unser Baumeister des
Ratzeburger Domes lebt diesen Zwang zu Neubildungen mit großer
schöpferischer Freude und einer erstaunlichen Beweglichkeit des
Geistes aus. Wer den Dom im Innern betrachtet, wird kaum bemerken,
daß die gebundene große Form in der Einzeldurchibildung von
Pfeilerkante, Sockel und Kapital ununterbrochen neue
Lösungsmöglichkeiten versucht. Der vierte Band der
Mecklenburg-Strelitzschen Kunst- und Geschichtsdenkmäler wird
zeigen, wie bei den
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beiden
gegenüberliegenden Pfeilern in der Mitte des Langhauses die
"dänische Kante", östlich davon alle Kanten auf "sächsische" Art,
westlich davon die verfeinerte "lübische" Kante, im Turm die
einfachere "Kantonierung" planmäßig zur Anwendung gekommen ist.
Entsprechend werden in jedem stilistischen Ausdrucks-Abschnitt
(zeitlich nicht weit auseinanderliegcnd) immer wieder andere Profile
und Formen in Basis und Kapitäl ersonnen; in dem etwas älteren
Ostabschnitt noch ganz ohne Rücksicht auf das Backsteinformat in
sächsischer Hausteinarchitektur große Terrakottablöcke formend, bis
dann allmählich eine Gliederung ausgebildet wird, bei der jede
Backsteinschicht ihr in sich geschlossenes Profil zu der größeren
Form beiträgt, die Scharrierung des Hausteins aber immer noch
festhaltend. Es ist jedem, der sich die Freude machen will, dieses
Baudenkmal aus großer deutscher Zeit kennen zu lernen, höchst
reizvoll, den unbekannten Baumeister seiner Persönlichkeit nach aus
seinem Schaffen heraus zu entdecken, nicht nur aus seinen
Einzelheiten, sondern auch aus der großen Form der Raumgestaltung -
was immer das Wesen der Baukunst ist - und aus seiner technischen
Meisterung des Problems der Einwölbung der Räume. Wie er da seine
eigenen neuen Wege geht im Wetteifer mit den Dombaumeistern von
Lübeck und Braunschweig, kann hier nicht weiter ausgeführt werden,
weil noch an Hand der Abbildungen auf einiges hingewiesen sei.
Ein Vergleich von Mittelschiff und Seitenschiff zeigt uns die
wundervolle Ueberlegenheit in kraftvoller Harmonie im Seitenschiff.
Hier kommt die Kraft der Pfeiler, die Ruhe der romanischen Rundbogen
wie sie sich perspektivisch stetig aneinanderreihen, ungestört zum
Ausdruck. Vor dem perspektivischen Zielpunkt der Apsis durchbricht
die Helligkeit des hohen Querschiffes das Dämmerlicht der
Gewölbe-Reihe davor. Im Hauptschiff, etwas später eingewölbt, ist
aus konstruktiven Gründen schon der Spitzbogen eingedrungen;
allerlei Veränderungen im Fußboden und Hinzufügungen, der kurze
Abstand bei nur drei Jochen in Langhaus, die moderne Ausmalung, und
manches andere beeinträchtigen die Raumwirkung dieses engen,
schmalen, ruhelos drängenden Hauptschiffes.
Ein Meisterstück,
hehr und herrlich, ist die Südansicht des Domes! Seine Harmonie
beruht nicht wie bei den Tempeln Griechenlands in dem edlen
Gleichmaß und der absoluten Einheit von Säulenreihen. Es ist
vielmehr die Schönheit des Organismus. Die Freiheit der einzelnen
Baukörper voller charakteristischer Selbständigkeit fügte sich der
höheren Ordnung und Harmonie des Organismus freiwillig ein. Die
klare Gruppe von Innenräumen, gleicherweise das Werk des nordisch
gebundenen Verstandes wie des die Massen abwägenden künstlerischen
Gefühls, ist in allen Teilen voll kerngesunder Triebkraft,
fortwährendem Wachsen, sie ist szenen- und gestaltenreich wie die
sich drängenden Bilder jugendfrohen mittelalterlichen Geschichte.
Nun aber ist alle diese Harmonie nicht ästhetischer Selbstzweck, die
Raumgruppe ist so geworden, weil die Kirche dem Baumeister die
Aufgabe gestellt hatte, Gottes Heilsplan und den Weg von dem
Sacrament der Taufe bis hin zum Abendmahl, von der Vorhalle bis zur
Altarnische sichtbar darzustellen. Links im Bilde steht breit und
ruhig die Vorhalle, ein Glanzstück der spätromanischen
Backsteinkunst. Weil der Berg zu klein war, und die Örtlichkeit es
erforderte, steht sie nicht westlich in der Längsachse, sondern mit
diesem eigenwilligem Achsenknick senkrecht dazu hier an der Südseite
vor dem zweitürmig angelegten, dann aber eintürmig fortgeführten
Westbau. Ruhig führt die große Linie des Dachfirstes, von dem
Dachreiter des Messeglöckleins über dem Anfang des hohen Chors keck
unterbrochen, über die Vierung hinüber bis zu der halbrunden Apsis.
Das Querschiff stellt mit seinen senkrecht gesteigerten Proportionen
das harmonische Gleichgewicht zu Vorhalle und Turm her. In der Mitte
des Seitenschiffes steht harmonisch der frühgotische Kapellenanbau
der Herzöge von Lauenburg. "Paarweise gedoppelt" ist das Band der
Einheit, das in allen Einzelteilen wiederkehrt.
Vieles
wäre noch zu sagen, Mußt das Bauwerk selber fragen.
Off’ne Augen, kluger Sinn führen Dich zur Quelle hin.
Große Zeiten, große Taten können Dir, mein Deutschland,
raten.
Hier die
Vorlage der Transkription, in Frakturschrift, auch zum Download:
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